- Markuskirche - 

         

Markuskirche ist eine "offene Kirche"

Allein in Deutschland gibt es über 20.000 Kirchen und Kapellen, eine Vielzahl von ihnen ist inzwischen auch wochentags geöffnet und lädt zum Menschen zum Verweilen und Innehalten ein. Und viele nutzen die Gelegenheit und kommen unter der Woche kurz "auf einen Sprung" vorbei: Vor dem Einkauf, nach der Arbeit, in der Mittagspause. Sie setzen sich für einige Minuten in eine Kirchenbank, zünden eine Kerze an, schreiben ein Gebet oder eine Bitte in ein Anliegenbuch. Und nehmen sich vielleicht am Ausgang noch eine Karte mit einem Bibelvers oder einen kleinen Kirchenführer mit.

 

Wir freuen uns, wenn Sie unsere Markuskirche zu einem Gottesdienst, zu einer Kirchenführung oder über unsere Homepage besuchen!

 

Haben Sie etwas Zeit für einen Rundgang durch diese „junge“ und schlichte Kirche, die durch die Formsprache und Symbolik, die sie enthält, gleichwohl zu uns zu sprechen beginnt...? Sie sind eingeladen!   

   

Außenansicht

Die heutige Kirche mit den beiden Seitenschiffen und dem kurzen Turm wirkt gedrungen.

 

Diese Kirche hat einmal anders ausgesehen:

1891 war sie erbaut worden, damals die erste evangelische Kirche Gaggenaus: wesentlich kleiner und mit hohem schlankem Turm.
 

Die Geschichte der evangelischen Gemeinde in Gaggenau begann 1771:

Die katholische Linie des Hauses Baden war ohne Stammhalter geblieben und erlosch. Da fiel die obere Markgrafschaft Baden-Baden an Karl Friedrich von Baden-Durlach, der evangelisch war. Bis dahin gab es in der Region nur in Gernsbach eine evangelische Gemeinde und einen Pfarrer. Immer dann, wenn der Markgraf Karl Friedrich von Baden-Durlach in der Folgezeit im Schloss von Rotenfels residierte, wurde der evangelische Pfarrer von Gernsbach nach Rotenfels zu Hausandachten ins Schloss gerufen. Aus den Hausandachten wurden später regelmäßige Gottesdienste. Die Hofbediensteten, die Gäste und erste Einwohner mit evangelischem Bekenntnis bildeten die Gemeinde.

Danach, im Zug der Industrialisierung Gaggenaus, zogen die Betriebe und Unternehmen Menschen aus allen Gegenden an, darunter viele evangelischen Bekenntnisses. Die Kirchengemeinde wuchs kontinuierlich; nach dem Krieg kamen viele Evangelische, die ihre Heimat im Osten verlassen mussten, hinzu.

Das Kirchenportal: Übergang in eine andere Welt

Das Portal einer Kirche ist, je nach Bauzeit und Epoche, mehr oder weniger reich ausgestaltet. Unsere recht „moderne Kirche“ hat kein aufwändiges Portal, doch das Portal ist bei sakralen Bauten grundsätzlich bedeutsam, weil es den Eintritt in einen anderen Raum bewusstmacht. Das Kirchenportal signalisiert den Übergang in einen anderen Raum, und damit in eine andere Welt.

Bemerkenswert ist, dass wir ziemlich intuitiv beim Betreten eines Kirchenraums eine andere Haltung einnehmen und oft auch in eine andere Stimmung versetzt werden. Mit dem Begriff „heilig“ könnte man das „andere“ des Kirchenraums benennen, was auch Menschen wahrnehmen, die keine kirchliche Sozialisation erfahren haben, wenn sie eine Kirche betreten. Selbst Jugendliche verhalten sich anders in diesem Raum...

Vielleicht könnte man es so formulieren: Der Kirchenraum spiegelt mir wider, dass es in meinem Leben etwas Heiliges gibt, dass es Dinge gibt, die mir heilig sind und die das menschliche Leben aus dem bloß materialistischen Dasein erheben und ihm eine unverlierbare Würde geben: es geht um das, was schützenswert ist in unserm Leben und im menschlichen Leben und in der Welt überhaupt. Insofern weisen uns Kirchen immer auf dies „Überschüssige“ im Leben  hin, das nicht messbar und sichtbar ist...

Sollte Gott an Kirchenmauern gebunden sein?

Dennoch ist bereits in biblischen Zeiten eine bemerkenswerte Zurückhaltung erkennbar, die Gegenwart Gottes an ein sakrales Gebäude (damals den Tempel in Jerusalem) zu binden:

Nachdem der König Salomo den Tempel in Jerusalem errichtet hatte, sprach er am Altar folgendes Gebet:

Aber sollte Gott wirklich auf Erden wohnen? Siehe, der Himmel und aller Himmel Himmel können dich nicht fassen – wie sollte es dann dies Haus tun, das ich gebaut habe?

Wende dich aber zum Gebet deines Knechts und zu seinem Flehen, Herr, mein Gott:

Lass deine Augen offen stehen über diesem Hause Nacht und Tag, über der Stätte, von der du gesagt hast: da soll mein Name sein.

Du wollest hören das Gebet, das dein Knecht an dieser Stätte betet und wollest erhören das Flehen deines Knechts und deines Volkes Israel, wenn sie hier bitten werden an dieser Stätte; und wenn du es hörst in deiner Wohnung, im Himmel, wollest du gnädig sein.“                          (1. Könige Kapitel 8 Verse 27-30)

Die Gegenwart Gottes in unseren Gottesdiensten und Zusammenkünften können wir also erbitten, aber sie ist nicht automatisch verfügbar. Grundsätzlich gilt: Gottes Wirken ist gewiss nicht an die Kirchenmauern gebunden!

Die Fenstermotive

Einige Familien aus Gaggenau und die Gemeinde Rotenfels stifteten die Kirchenfenster, die im Zuge des Wiederaufbaus der Markuskirche nach dem Krieg gestaltet wurden. 15 Fenster enthalten jeweils ein Motiv.

Diese Motive erzählen Geschichten, versinnbildlichen christliche Themen und Personen und verleihen so dem modernen schlichten Kirchenraum Lebendigkeit und Ausdruckskraft. Der Kirchenraum beginnt zu sprechen:
 
 

Die Fenstermotive im Kirchenschiff: die 4 Evangelisten sind paarweise angeordnet; jeweils im mittleren Fenster befinden sich die Symbole Schwert und Schlüssel einander gegenüber: 

Löwe      = Markus 

Adler        = Johannes

Schwert  = Paulus / weltliches Regiment

Schlüssel  = Petrus / geistliches Regiment  (Schlüsselgewalt)

Engel      = Matthäus

Stier         = Lukas

„ELSA“ (Engel – Löwe – Stier – Adler) ist ein Kürzel, um sich die Reihenfolge der Evangelisten bzw. Symbole zu merken.

   

Der Engel steht für den Evangelisten Matthäus

(das erste Evangelium unter den vier neutestamentlichen Evangelien), weil in der Geburtsgeschichte Jesu nach Matthäus Engel eine herausragende Rolle spielen: Ein Engel kündigt dem Josef im Traum die Geburt Jesus an, ein Engel warnt ihn nach der Geburt des Kindes vor Herodes und weist ihn an, mit Maria und Jesus nach Ägypten zu fliehen, wiederum ist es ein Engel, der Josef in Ägypten anzeigt, dass er mit der Familie in die Heimat zurückkehren kann.

Der Löwe ist Symbol des Evangelisten Markus:

Der Löwe, der mit dem Schweif seine Spuren verwischt, ist Sinnbild für die geheimnisvolle Herkunft Jesu, die Menschwerdung Gottes. Im Markusevangelium ist das Geheimnis der Person Jesu in besonderer Weise betont.

Der Stier,

wichtiges Opfertier im Tempelkult des Alten Testaments, kennzeichnet Lukas: sein Evangelium beginnt mit dem Opfer, das Zacharias Gott darbringt. 

Der Adler,

Symbol für die geistige Kraft der Heiligen Schrift steht für das Johannesevangelium: Dies Evangelium ist am deutlichsten an theologischer Interpretation interessiert, weniger an den bloßen Tatsachen.

Der Schlüssel und das Schwert stehen sich im Kirchenschiff rechts und links gegenüber:

Der Schlüssel

bezeichnet den Jünger und Apostel Petrus, dem Kopf der Jerusalemer Urgemeinde, dem Jesus nach der Überlieferung des Evangeliums stellvertretend für alle Jünger die „Schlüsselgewalt“, also die geistliche Gewalt anvertraut: „Ich will dir die Schlüssel des Himmelreichs geben: alles, was du auf Erden binden wirst, soll auch im Himmel gebunden sein, und alles, was du auf Erden lösen wirst, soll auch im Himmel gelöst sein.“                            (Matthäusevangelium Kapitel 16 Vers 19)

Das Schwert

kennzeichnet wohl den Apostel Paulus: es erinnert an Saulus, den Christenverfolger, der sich zum streitbaren Verfechter des neuen christlichen Glaubens wandelt; Paulus verdanken wir die Gründung der ersten „heidenchristlichen“ Gemeinden.

 

Die Symbole Schlüssel und Schwert lassen sich auch als Zeichen für die weltliche und geistliche Gewalt deuten:

Gott regiert nach der lutherischen „Zwei-Reiche-Lehre“ die Welt mit zwei Händen: mit der einen Hand durch das „weltliche Regiment“, also durch Rechtsprechung, Strafe, Gewalt zur Aufrechterhaltung der weltlichen Ordnung, mit der andern Hand durch das „geistliche Regiment“: durch Christus zur Erlösung der Menschen durch sein Wort und Sakrament.

Es ist sinnig, dass die beiden Symbole sich im Kirchenschiff befinden, wo die Christen sitzen: sie sind Bürger sowohl des Reiches Gottes als auch des weltlichen Staates und im Kirchenraum ist sinnlich nachvollziehbar, dass dies manchmal zu einem spannungsvollen  Spannungsverhältnis führt.

 

Die Fenstermotive im Chorraum:

Linke Empore oben:    

Rechte Empore unten:   

Rechte Empore oben:

 

Kreissymbol = Gemeinschaft oder Lebenszyklus?

Weihnachtsstern

Taube = Taufe, Hl. Geist, Pfingsten

Lutherrose = Glaube

Abendmahlskelch

 

Hand mit Herz = Nächstenliebe, Diakonie

Offenes Grab, Ostern

Richtung Norden:

 

Richtung Norden:

Kreuz mit Schlange = Überwindung der Sünde

 

Wappen der Familie Bach

Auch die dargestellten Fenstermotive unter und auf den Emporen im Chorraum sind systematisch angeordnet: 

Die beiden Sakramente Abendmahl (Kelch) und Taufe (Taube) stehen sich gegenüber

Weihnachtsstern und Ostergrab sind auf der rechten Empore jeweils außen angeordnet
Kreuz mit Schlange  = Überwindung der Sünde

(Philipp Melanchthons selbstgewähltes Familienwappen)

Das Wappen der Familie Bach ist sinnigerweise von der Orgel aus sichtbar

Die Lutherrose unter der rechten Empore, das vom Reformator selbst gewählte Wappen, bringt Luthers Glaubenslehre zum Ausdruck. In einem Brief am 8. Juli 1530 beschreibt Martin Luther sein Wappen:

„Das erste sollte ein Kreuz sein – schwarz – im Herzen, das seine natürliche Farbe hätte. Denn so man von Herzen glaubt, wird man gerecht... Solch Herz soll mitten in einer weißen Rose stehen, anzeigen, dass der Glaube Freude, Trost und Friede gibt... darum soll die Rose weiß und nicht rot sein; denn weiße Farbe ist der Geister und aller Engel Farbe. Solche Rose steht im himmelfarbenen Feld, dass solche Freude im Geist und Glauben ein Anfang ist der himmlischen Freude zukünftig... Und um solch ein Feld einen goldenen Ring, dass solche Seligkeit im Himmel ewig währt und kein Ende hat und auch köstlich über alle Freude und Güter, wie das Gold das edelste köstlichste Erz ist...“

Der Glaube hat als notwendiges Pendant das Tun, die tätige Nächstenliebe, symbolisiert durch eine Hand, auf der sich ein Herz befindet („ein Herz für jemanden haben“).

 

(Johannes Calvins Wappen nach dem Wahlspruch: Mein Herz biete ich dir dar, o Herr, bereitwillig und aufrichtig)

Das dritte Symbol in dieser Reihe, ein Kreis in gelb und schwarz gestaltet, ist uneindeutig: Es könnte für Gemeinschaft stehen; so würde so die Dreiheit Glaube – Diakonie – Gemeinschaft (Koinonia) drei zusammengehörige Aspekte des christlichen Lebens darstellen.

 

(Ulrich Zwinglis ererbtes Familienwappen)

   

Die Dreiheit Kanzel – Altar – Taufbecken

Wenn man Kanzel, Altar und Taufbecken mit gedachten Linien miteinander verbindet, ergibt sich in den meisten Kirchen ein Dreieck. Diese Dreiheit lässt sich auf elementare Vollzüge im menschlichen Leben deuten: Ansprache – Essen – Waschen: alle drei Vollzüge sind notwendig am Lebensbeginn, aber auch im weiteren Lebensverlauf...

Man kann auch anders sagen: die Vollzüge des Gottesdienstes (Predigt, Abendmahl, Taufe)  ermöglichen eine Regression, die wir als erwachsene Menschen regelmäßig brauchen, um progressiv, gestaltend und verantwortlich leben zu können...

Diese Vollzüge drücken eine bestimmtes Menschenbild aus: Der Mensch ist ein elementar auf andere angewiesenes soziales Wesen, auch noch im Erwachsenenalter.

    

Abendmahlsgeräte

Zur festlichen Einweihung der Markuskirche am 19. Nov.  1891 überreichte  Großherzog Friedrich I. die Abendmahlsgeräte als Geschenk an die Kirchengemeinde.

Seither haben sich über ein Jahrhundert hinweg Gemeindeglieder und Gäste zur Feier des Abendmahls um den Altar versammelt. 

 

 

 

Die Orgel

Nach zähem Ringen konnte sich der Ältestenkreis im Jahr 1994 für einen Orgelneubau in der Markuskirche entscheiden. Es war keine leichte Entscheidung. Die alte Orgel der Firma Steinmeyer zu erhalten, wäre zwar „billiger“ (200.000.- DM) gewesen, aber hätte langfristig dieselben Probleme aufgeworfen, mit denen man bis 1994 zu kämpfen hatte.

Die Firma Hartwig Spät  in Hugstetten am Kaiserstuhl erhielt den Zuschlag und der Vertrag wurde Ende 1994 unterzeichnet. Es sollten nun noch vier Jahre ins Land gehen bis zum Einbau der Orgel.

Im November 1997 wurde die „alte Steinmeyer“ von einem Orgelbauer aus Bratislava abgebaut. Sie tut heute in der Lutherischen Kirche in Bratislava noch ihren Dienst. 12.000.- DM bekam die Gaggenauer Gemeinde noch für das alte Instrument.

Derweil ging  in der Markuskirche der große Umbau und die Renovierung der Kirche von statten. Am 30. Juni 1998 war es dann so weit. Die neue Orgel wurde angeliefert und aufgebaut.

Zum Instrument:

Es handelt sich um eine voll mechanische Schleifladenorgel mit 21 Registern. Das Konzept basiert auf den Ideen des Orgelbausachverständigen Herrn Dr. Kares. Die Disposition weicht in einem Punkt von den üblichen Schemata ab. Das Pedalwerk wird nicht wie üblich mit 30 Tönen gebaut sondern als Manualwerk. Das Pedal ist somit nur über eine Kopplung spielbar. Dieser neue Aspekt fasziniert, da man dadurch ein zusätzliches drittes Manual auf 16’ Basis zur Verfügung hat. Das gesamte Pedal (III. Manual) ist gemeinsam mit dem zweiten Manual in einem Schwellkasten untergebracht und ermöglicht eine zusätzlich expressive Nutzbarkeit. Der Gesamtklang der eigentlich zweimanualigen Orgel erhält durch das Bassmanual ein wesentlich erweitertes Klangbild, das man eigentlich von einer Orgel dieser Größe normalerweise nicht erwarten würde.

   

Zum Schluss eine heutige Stimme

Bevor Sie sich auf den Rückweg machen und unsere Kirche verlassen, lesen Sie noch ein modernes Bekenntnis zur Bedeutsamkeit der Kirchen und zu all dem, wofür Kirchen stehen:

  „Ich möchte nicht in einer Welt ohne Kathedralen leben. Ich brauche ihre Schönheit und Erhabenheit. Ich brauche sie gegen die Gewöhnlichkeit der Welt. Ich will zu leuchtenden Kirchenfenstern hinaufsehen und mich blenden lassen von den unirdischen Farben. Ich brauche ihren Glanz. Ich brauche ihn gegen die schmutzige Einheitsfarbe der Uniformen. Ich will mich einhüllen lassen von der herben Kühle der Kirchen. Ich brauche ihr gebieterisches Schweigen. Ich brauche es gegen das geistlose Gebrüll des Kasernenhofs und das geistreiche Geschwätz der Mitläufer. Ich will den rauschenden Klang der Orgel hören, diese Überschwemmung von überirdischen Tönen. Ich brauche ihn gegen die schrille Lächerlichkeit der Marschmusik. Ich liebe betende Menschen. Ich brauche ihren Anblick. Ich brauche ihn gegen das tückische Gift des Oberflächlichen und Gnadenlosen. Ich will die mächtigen Worte der Bibel lesen. Ich brauche die unwirkliche Kraft ihrer Poesie. Ich brauche sie gegen die Verwahrlosung der Sprache und die Diktatur der Parolen. Eine Welt ohne diese Dinge wäre eine Welt, in der ich nicht leben möchte.“

(Aus: Pascal Mercier, Nachtzug nach Lissabon)

 

 

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